Auf der Küchenfläche dreht sich Michael Holzer immer wieder eine Zigarette, die er genüsslich raucht, während der Grafiker über sich, seine Familie und über sein ungewöhnliches Zuhause erzählt.

Früher haben hier Fiakerfahrer eng aneinander gedrängt geschlafen, heute wohnt Familie Holzer in dem großzügigen Loft im ersten Stock. Im Stall direkt darunter wurden die Pferde eingestellt –  dort werkt der Grafik-Chef jetzt in seiner Agentur 86/60.

Dazwischen liegen mehrere Jahrzehnte und ein Zwischenspiel einer Faltboot-Fabrik. Seit mittlerweile 27 Jahren hat der Wiener den Altbau in einem abgeschiedenen Hinterhof im 3. Bezirk gemietet. Geduldig renoviert er das Gebäude seit Jahren, ohne Stress – und mit viel Liebe zu Detail.

Zunächst hat der ehemalige Techno-Fan einfach dort geschlafen wo er gearbeitet hat. Dabei hat er unglaubliche acht Jahre lang den Linoleumboden im Loft jeden Abend stückchenweise abgeschabt, weil er einen rustikalen Dielenboden darunter entdeckt hatte, der allerdings mit Kleber unter der PVC-Schicht bedeckt war.

Das war eine mühselige Arbeit, aber ich hab sie gerne gemacht. Und eilig hatte ich es ja nicht.

Heute kommt der Agenturchef manchmal tagelang nicht aus seinem ruhigen Refugium, in dem auf zwei Stockwerken und einem privaten Hof gelebt und gearbeitet wird.

Hier bekommst du nicht mit, dass du dich eigentlich mitten in der  Stadt befindest. Es kommt vor, dass ich die ganze Woche nicht vor die Tür gehe.

Auch Judith Holzer mag ihre von Michael gestaltete Bleibe. Wenn der leidenschaftliche Handwerker Pressspanplatten von einer Party-Location nach Hause bringt, um damit den Eingangsbereich in der Wohnung zu pflastern, lässt die selbstständige Catering-Chefin ihn ohne Bedenken gewähren.

„Versuchen kann man es ja, und es ist echt nett geworden, auch wenn’s nicht ganz perfekt ist“, so das lockere Fazit über den Fußboden aus Spanplatten, die geölt wurden und die ersten Meter in der Wohnung nun verschönern.

Fußboden als Hochzeitsgeschenk

Apropos Fußboden: Zur ihrer Hochzeit vor 12 Jahren hat sich das Paar von ihren Gästen Holzdielen für das Büro gewünscht, die aus 100 Jahre alten Holztram geschnitten wurden. Jeder Gast konnte das Brautpaar in Quadratmetern beschenken. Nicht nur der exklusive Fußboden wurde vom Bräutigam verlegt, auch den Esstisch hat der 56-Jährige vor Jahren nach einem eigenen Entwurf selbst gezimmert. Von den Einbaukästen im Schlafzimmer über das Badezimmer, dem Ehebett oder dem Hochbett von Sohn Felix – alles stammt aus der Hand des Grafikers, der in seinem Erstberuf Elektriker gelernt hat.

Scheitern als Lehre

Eine steile Karriere hat er dann aber lieber als Veranstalter von Techno-Partys in den 90er-Jahren hingelegt. Zwei Jahre hat Michael auch in Köln gelebt und ist oft und gerne in die Techno-Hochburg Holland gepilgert. Party machen und arbeiten gingen quasi Hand in Hand. Nach dem großen Hype kam allerdings der umso größere Absturz  –  den Holzer heute als die beste Lehre in seinem Leben bezeichnet.

Zwei Jahre lang hat er rund um die Uhr für sein größtes Projekt gearbeitet, mehrere Techno-Events mit je 20.000 Gästen in verschiedenen Städten in Europa gleichzeitig zu veranstalten. Die Partys sollten dann auch noch im Internet gestreamt werden – 1998 wohlgemerkt. Holzer war seiner Zeit vielleicht etwas voraus, wie er heute meint. Und mit dem Businessplan haben sie es nicht genau genommen, gibt er offen zu. Kurz vor dem Finale ist das Projekt dann tatsächlich geplatzt.

Das war ein extremer Schock. Ich bin in ein Loch gefallen. Ein Jahr habe ich dann einmal gar nichts gemacht.

Nach dem veritablen Business-Flop ging es allerdings relativ schnell wieder bergauf. Das Scheitern im Beruf habe ihn jedenfalls eindrücklich gelehrt, auch auf sein Privaleben acht zu geben.

Dieses Scheitern war im Nachhinein vielleicht das Beste, was mir passiert ist. Heute sehe ich die berufliche Karriere nicht mehr als oberstes Ziel. Das Leben abseits vom Job muss genau so wichtig sein.

Nach dem Aus für das europaweite Techno-Projekt wurde Holzer angeboten, an der Erstellung von Webseiten für Firmen mitzuarbeiten. Ein Grafiker der alten Schule hat ihn unter seine Fittiche genommen – bis heute sieht er seinen damaligen Arbeitgeber als Mentor, in beruflicher aber auch privater Hinsicht.

Oberflächlichkeiten zurückgelassen

Eine ganz andere Vergangenheit hat Judith Holzer. Die Südtirolerin war in Brixen verheiratet und hat dort ein „oberflächliches und sehr gediegenes Leben“ geführt, wie sie selbst sagt. „Ich vermisse diese Zeit keine Sekunde“, ist sie sich sicher. Lange Zeit hat sie in Südtirol Ballett getanzt, ist von ihrem Vater verwöhnt worden und wollte keine Kinder.

Michael war der erste Mann, den ich getroffen habe, mit dem ich mir Kinder vorstellen konnte.

Michael lacht: “Ja, und das hast du mir auch am ersten Tag gesagt als wir uns kennengelernt haben.“ Nach fünf Jahren Beziehung gab es dann tatsächlich Nachwuchs bei den Holzers. Felix ist heute 10. Einen Sohn aus seiner früheren Ehe hat der Grafiker bereits. „Ich musste mich auch erst mit dem Thema anfreunden, wieder Vater zu werden, aber heute ist das wirklich etwas ganz Tolles für uns. Das heißt aber nicht, dass es keine Krisen gegeben hat.“ Und auch Judith erklärt offen:

Wir mussten uns nach einigen Jahren als Familie erst als Paar wieder finden  – und vor allem mich selbst. Ein Kind verändert einfach alles. Aber diese uneingeschränkte Liebe ist unvergleichlich.

Catering der etwas anderen Art

Heute kann sich Judith zumindest beruflich wieder voll austoben. Die Köchin hatte viele Jobs bis sie den richtigen für sich gefunden hat. Nach einigen Jahren als Assistentin von André Heller und Inhaberin einer Designagentur, die sie alle nicht glücklich gemacht haben, hat sie sich selbstständig gemacht und führt jetzt ein Catering- Unternehmen der etwas anderen Art.

„Fragen Sie nicht nach Brötchen“ ist ihr Leitspruch als Titi Laflora, so ihr Künstlername. Bis zu 350 Gäste bekocht sie auf Events und Firmenfeiern – die Gerichte stammen immer aus ihrer Küche und sind persönlich von ihr gekocht. Nur manchmal gibt’s Unterstützung von kulinarischen Helfern, wenn die Veranstaltungen zu groß werden. Neben Catering für Unternehmen, veranstaltet die 48-Jährige auch intime Lover Dinner oder Kochkurse für Kinder.

Herzstück ist die Küche

Das Herzstück der 120 Quadratmeter-Wohnung ist durch die lukullische Leidenschaft daher unweigerlich die Küche, in der unzählige Gewürze die Dekoration bilden. Auch eine gut sortierte Bar gibt’s bei den Holzers, obwohl die beiden fast keinen Alkohol trinken.

Ein Bullerjan-Ofen hat die Wohnung jahrelang beheizt. Als Felix dann aber auf die Welt kam, wurde mit einer (selbst installierten) Gasheizung für mehr Wärme gesorgt.

Campen & der Ausstieg aus dem System

Das Paar gibt sich in jeglicher Lebenslage genügsam. Die beiden haben Camping-Reisen für sich entdeckt. „Als wir noch zu zweit Campen waren, haben wir unser Zelt tagelang einfach neben einem abgeschiedenen See gestellt, wo wir niemanden zu Gesicht bekommen haben“, schwärmt Judith. Erst durch Michael ist sie ein Fan dieser „Kurzaussteiger-Trips“ geworden.

Noch nie hatte ich so ein Freiheitsgefühl, man lässt wirklich alles hinter sich.

Zuletzt ging es im Sommer für mehrere Wochen mit VW-Bus und Zelt durch Albanien und Montenegro. Vom wilden Campen wurde in den letzten Jahren aber auf offizielle Stellplätze gewechselt. „Felix wäre es einfach zu langweilig, wenn er tagelang nur in der Pampa mit uns sitzt.“ Das Freiheitsgefühl kommt aber auch beim Familienurlaub nicht ganz abhanden. Nicht zuletzt, weil alle ihre Handys dabei für drei Wochen abstellen. Die Holzers wissen offenbar wirklich ganz gut wie man leben soll …

Text: Christina Michlits
Fotos: Jasmin Andert